Putin steckt zurück, deutscher Sport adoptiert Sippenhaft?

Wie so oft eine gute und eine schlechte Nachricht. Gut ist, dass Präsident Putin unter dem Druck der Öffentlichkeit (und speziell dieses und weiterer Blogs!) die Begnadigung der Pussy-Riot-Musikerinnen angeordnet hat, natürlich unter strenger Beachtung der Unabhängigkeit der russischen Justiz. Welch edle und großügige Geste nach nur fünf Monaten ungerechtfertigter Untersuchungshaft!

Und am selben Tag die schlechte Nachricht, dass der deutsche Sport und die für die Olympiamannschaft abgestellten Funktionäre sich den Anschein geben, im öffentlichen Leben (dazu gehört auch das Sportgeschehen) das Institut der Sippenhaft einzuführen – ein sonst nur für Diktaturen reserviertes Rechtsprinzip. Was war passiert? Es war herausgekommen, dass die Ruderin Nadja Drygalla mit einem Landtagskandidaten der rechtsextremen NPD liiert ist. Ihr selbst, ihrem Verhalten und ihren politischen und moralischen Ansichten, lässt sich nichts Nachteiliges nachsagen. Das bekunden ausdrücklich der Präsident des Deutschen Ruder-Verbandes, Siegfried Kaidel, und der Chef des deutschen Olympiateams, Michael Vesper. Denn letzterer hat sich lange und ausführlich mit Frau Drygalla unterhalten. Danach hat diese das Team verlassen und ist abgereist.

Frage: Wie hat Michael Vesper das Kunststück hingekriegt, Frau Drygalla zu erklären, dass es bei der Erörterung ihrer Beziehung in keiner Weise um Sippenhaft geht (dazu gibt’s ein hübsches Zitat von ihm), und ihr gleichzeitig, den Eindruck zu vermitteln, dass sie mit ihrem Makel keinen Schutz der Bosse genießt, sondern besser verschwindet? Musste sie befürchten, dass man andernfalls – natürlich nur als allerletztes Mittel – zur Sippenhaft greifen würde, damit der Laden wieder „sauber“ wird? Wurden etwa Sanktionen „angeboten“? Wurde die Reinheit des deutschen Sportgeistes beschworen? Wollte man der NPD-Sippe samt ihrem Anhang bedeuten, dass man – im besten Putinschen Geist – auch andere Saiten aufziehen kann? Oder hatte man gerade kein Gegenargument zur Hand, als eine junge Frau glaubte, ungerecht behandelt zu werden? Fragen über Fragen.

Über hwiesenthal

Soziologe und Politikwissenschaftler, seit 2003 im Ruhestand, wohnt in Berlin.
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