Der neue Bundesvorstand der Grünen könnte die Partei tatsächlich wieder zum Impulsgeber im Parteiensystem machen. Robert Habeck und Annalena Baerbock repräsentieren nicht nur deutlich „mehr“ als das längst in den grünen Mainstream aufgelöste Lager der sogenannten Realos. Ihre Wahl an die symbolische Spitze der Partei signalisiert den von vielen erhofften Generationswechsel. Das meint nicht in erster Linie die Ablösung von Älteren durch Jüngere, sondern den willkommenen Einflussgewinn von politischen Erfahrungsträgern, deren Weltbilder weniger durch K-Gruppengeschichten, die Massendemos der 80er Jahre und die Dunkeljahre der Kohl-Ära als durch Freiheitsgewinne dank EU, die Beteiligung der Grünen an Landes- und Bundesregierungen und – nicht zum geringsten Teil – durch eine gewisse Veralltäglichung vieler Diagnosen und Ziele aus der grünen Agenda geprägt sind.
Es scheint durchaus möglich, dass Baerbock und Habeck mehr Erfolg als ihre Vorgänger haben werden, das etwas verblasste Erscheinungsbild der Grünen aufzufrischen – nicht nur mit satterem Grün, sondern auch (entgegen interessierten Diagnosen aus der Linkspartei) mit moderneren Rot-Schattierungen und, wo immer nötig, mit Alarmsignalen in Gelb. Das scheint umso notwendiger, als die bevorstehenden Oppositionsjahre im Bund nicht nur das Risiko der Einigelung in exklusive Selbstgewissheiten mit sich bringen, sondern auch die Chance, einen ungeplanten Wahlkampf zu bestreiten. Die nächste GroKo, wenn sie denn zustande kommen sollte, wird erhebliche Zentrifugalkräfte enthalten.
Wie sehr man auch das Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche bedauern mag, die Grünen sind aus ihnen mit verbesserten Chancen für den öffentlichen Politikdiskurs hervor gegangen. So konnten sie die Scharte von 2013 ausgleichen, als sie – für viele Wähler/innen nicht nachvollziehbar – die Einladung der Union zu Koalitionsverhandlungen ausschlugen. Nach der gescheiterten Jamaika-Sondierung standen sie plötzlich gut wahrnehmbar als die einzige unter den drei Kleinparteien (CSU, FDP, Grüne) da, der es um mehr als um die eigene Wählerklientel und deren gegen die Allgemeinheit gerichtete Sonderinteressen geht.
Diese, von den Grünen stets reklamierte, aber nicht immer überzeugend ausgefüllte Position ist nun als „Kapital“ für die Ingangsetzung einer Modernisierungsdebatte reaktiviert, wie sie Habeck in seiner Vorstellungsrede angedeutet hat: zur Selbstaufklärung der Gesellschaft über die Werte und Institutionen, die den Menschen in Zeiten des stürmischen sozialen und ökonomischen Wandels die Chance auf akzeptable und weitgehend selbstbestimmte Lebensbedingungen für alle bewahren. Dabei handelt es sich gewiss nicht um das Ausmalen von Utopien, sondern auch um die Kalkulation der unvermeidlichen Opfer: wie zum Beispiel die Verabschiedung mancher lieb gewordenen Ideen und Begriffe aus der Zeit der Frühindustrialisierung. Sollte das gelingen, wäre das der nicht hoch genug zu schätzende Beitrag der Grünen für einen intelligenteren, weil zeitgemäßeren Parteienwettbewerb – zumindest.