Warum Guttenberg kein Vertrauen verdient

Große Teile der CSU-Wählerschaft sind aus dem Häuschen und feiern einen als Betrüger und Lügner bekannten Mann, den sie unbedingt wieder mit einem politischen Amt bedacht sehen wollen. Der so Geehrte gibt sich mal bescheiden und ohne Ambition. Ein anderes Mal erklärt er seine unrühmliche Vergangenheit als Wissenschaftsbetrüger als hinreichend bereut, gesühnt und erledigt: „Jetzt ist auch mal irgendwann gut.“ Doch das ist beileibe nicht der Fall. Die CSU-Granden, die es bejubeln würden, wenn zu Guttenberg wieder in die Konkurrenzarena der bayerischen oder gar der Bundespolitik eintreten würde, täten gut daran, sich Handlungsweise und Leistungen des Kandidaten noch einmal genau anzusehen.

Die Doktorarbeit

Im Zentrum aller Vorwürfe steht die 2006 an der Universität eingereichte Doktorarbeit. Sie war von Guttenberg als krönender Abschluss seines rechts- und politikwissenschaftlichen Studiums gedacht. Dieser Traum zerplatzte, als im Februar 2011 eine Rezension der Buchfassung in einer juristischen Fachzeitschrift erschien. Ähnlich wie das bescheidene Ergebnis der 1999 abgelegten Ersten Juristischen Staatsprüfung (Note befriedigend“; vgl. Wikipedia) fällt das Qualitätsurteil des Rezensenten aus, das hier etwas ausführlicher zitiert sei.

„Der wissenschaftliche Ertrag der Arbeit ist bescheiden. Das liegt vor allem daran, dass der Autor seinen Verfassungsbegriff nicht hinreichend entfaltet und damit weit hinter der wissenschaftlichen Diskussion zurückbleibt. Zu Guttenbergs Argumentation mäandert vor sich hin und zermürbt die Leser_innen durch seitenlanges Politsprech und die Nacherzählung rechtspolitischer Diskussionen im Konvent. Der Autor macht auch nicht ansatzweise deutlich, worin der aktuelle Erkenntniswert der seitenlangen Dokumentation zu den Gottesbezügen in Verfassungstexten liegt. Das Gesamturteil ‚summa cum laude‘ erscheint darum mehr als schmeichelhaft.“ (Fischer-Lescano 2011).

Erheblich mehr Staub als dieses Urteil über die akademischen Meriten des damals noch amtierenden Verteidigungsministers wirbelten die vom Rezensenten genauestens belegten Fundstellen offensichtlicher Plagiate auf. Zu Guttenberg darf es seiner Prominenz als populärer Politstar, Dressman und Sprücheklopfer  zugute halten, dass seine Dissertation bald darauf von allerlei Plagiatsjägern durchforstet wurde. Das vorläufige – auf der Webseite GuttenPlag Wiki – veröffentlichte Suchergebnis brachte Erstaunliches ans Licht:

  1. Plagiate fanden sich auf 324 der 393 Seiten des Buches, die den Haupttext ausmachen.
  2. Es handelt sich um 891 Textstücke „aus über 120 verschiedenen Quellen“.
  3. Texte im Umfang von rund 72 Seiten sind Komplettplagiate (d.h. unveränderter und ungekennzeichneter  Originaltext anderer Autoren); auf 70 Seiten Text summieren sich verschleierte Plagiate, die „keinesfalls durch vergessene Anführungszeichen entstanden“. (Alle Zitate von der Startseite des GuttenPlag Wiki.)

Die Plagiatsjäger, beauftragte Gutachter und eine Reihe von Fachwissenschaftlern kamen zu dem Schluss, dass die Plagiate nicht „zufällig“ oder aufgrund „schlampiger“ Arbeitsweise entstanden sind, sondern in betrügerischer Absicht, mit anderen Worten „bewusst“. Zu Guttenberg bestritt den Tatvorwurf als „abstrus“ und völlig unzutreffend, musste aber den Entzug des Doktortitels durch die Universität hinnehmen und trat noch 2011 von allen politischen Ämtern zurück.

Die Entschuldigung

Nach eigener Darstellung und der Ansicht seiner CSU-Freunde war dem Autor der verunglückten Doktorarbeit bloß so etwas wie ein „dummer Fehler“ unterlaufen, der jedem passieren könnte, wenn er eben so viel um die Ohren hat und soviel arbeiten muss wie zu Guttenberg in den Jahren 1999 bis 2006. „Es war kein Betrug“ sagt Guttenberg im ZEIT-Interview, vielmehr das unbeabsichtigte Ergebnis seines Lektürestils als „hektischer und unkoordinierter Sammler“:

„Ich habe Dinge abgeschrieben und in den Computer eingegeben; ich habe Kopien gemacht, abgelegt und gesagt, das wird später noch bearbeitet. Oder ich habe es sofort bearbeitet. Später habe ich gewisse Textstellen auch mal aus dem Internet herausgezogen, auch diese abgespeichert, wieder auf unterschiedlichen Datenträgern. Eigentlich war das eine Patchworkarbeit, die sich am Ende auf mindestens 80 Datenträger verteilt hat.“

„Na und?“ würde eine Mehrzahl von Studierenden sagen, die schon mal über einer Diplom‑, Magister- oder Doktorarbeit geschwitzt haben. So ist das eben, wenn man Literatur auswertet und seine Kenntnis vom Stand der Wissenschaftsdisziplin dokumentieren will, in der man sich beweisen will. Da fühlt man sich oft schnell überfordert – und kämpft sich durch oder gibt auf. Guttenbergs Logik zufolge wäre es tatsächlich ein Wunder, dass die große Mehrzahl der laufend begutachteten akademischen Examensarbeiten ohne ähnlich umfangreiche Plagiate über die Bühne geht.

Doch Guttenberg deutet des Rätsels Lösung an. Es sind eben die Guten, die besonders Tüchtigen und Anspruchsvollen, die der Plagiatsvorwurf ereilt. Wenn es einem (wie ihm!) vor allem um die Sache geht (um „Inhalt und Schlüssigkeit meiner Aussagen“) und das Ziel ist, „ein geschlossenes intellektuelles Ganzes“ zu produzieren, dann kann man schon mal vergessen, sich „die wissenschaftliche Kärrnerarbeit an(zu)tun“. Was hieße, sich auch um solche Kleinigkeiten zu kümmern, die eher zu den Aufgaben einer Sekretärin zählten, die natürlich weiß, dass „die fremden Fragmente eben mit Quellenangaben sauber gekennzeichnet werden müssen“. Von Betrug könnte schon deshalb keine Rede sein, „weil es auch nicht ein (kursiv i.O.) Plagiat ist. Ich habe nicht einfach das ganze Buch eines anderen abgeschrieben und zu meinem Buch erklärt.“ (Alle Zitate dieses Absatzes aus dem ZEIT-Interview vom 24.11.2011.)

Kein simpler Fehler

Guttenbergs Argumentation ist zutiefst unglaubwürdig. Wer über mehrere Jahre hinweg Literatur auswertet sowie Textstücke exzerpiert und zu dem Zweck sammelt, ein „intellektuelles Ganzes“ herzustellen, aber dabei darauf verzichtet, die Textstücke mit Quellenvermerken zu versehen – oder aber bei der Verwendung der Textstücke die notierten Quellenvermerke nicht in die Arbeit mit aufnimmt – ist in keinem ernst zu nehmenden Sinne mit der Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit, sondern mit einem Betrugsunternehmen befasst. Mal einen Quellennachweis auslassen oder Anführungszeichen vergessen, mag jedem passieren. In nahezu allen Fällen würde es beim Kontroll-Lesen bemerkt und korrigiert werden. Bei der Häufung, in der es für Guttenbergs Dissertation dokumentiert ist, versagt die Erklärung als Irrtum oder Flüchtigkeitsfehler. Wenn es sich nicht um schiere Unkenntnis der Spielregeln handelt kann (was nur bei völliger Wissenschaftsferne vorstellbar wäre), ist es nichts anderes als Betrug – und dieser wiederum Beleg einer fatalen Charakterschwäche.

Wer eine solche Arbeitsweise jahrelang praktiziert, ihre Folgen nicht vor Abgabe der Arbeit korrigiert und schließlich eine ehrenwörtliche Erklärung des Inhalts abgibt, dass die Arbeit ohne unerlaubte Hilfsmittel angefertigt wurde, handelt als Betrüger. Er hat nicht nur die Regeln gebrochen, sich mit fremden Federn geschmückt und die Urheberrechte vieler Autoren verletzt, sondern auch ein erschreckendes Maß an Ignoranz gegenüber den gesellschaftlichen Institutionen gezeigt und ebenso – zumindest dem Anschein nach und durch wiederholtes Leugnen dokumentiert – ein gewisses Maß an krimineller Energie. Das Gerede von einem (sic) Fehler wird der Tatsache der jahrelangen Arbeit an einem Gaunerstück nicht gerecht. Sich einem Betrugsunternehmen dieses Umfangs zu verschreiben, ist nicht dasselbe wie temporäres Versagen, etwa ein Ladendiebstahl mangels Bargeld oder dass es einer unterließ, eine Fundsache im Fundbüro abzugeben. Doch genau das wollen uns Guttenberg und seine CSU-Freunde glauben machen.

Neustart in USA?

Guttenbergs Freunde behaupten, der Makel in seiner Biographie sei durch schieren Zeitablauf getilgt und die Politik müsse nicht länger auf seine Talente verzichten. Zumal der Gefeierte nach seinem Ausscheiden aus der deutschen Politik nicht untätig geblieben sei und sich zu einem Fachmann in Sachen Politikanalyse, Wirtschaftsberatung und Technologie-Innovation gemausert haben soll. Tatsächlich ist es Guttenberg in den USA – nach mehreren Zwischenstationen – gelungen, sich mittels des beträchtlichen Familienvermögens den Anschein einer erfolgreichen Beraterexistenz zu verschaffen. Studiert man die Webpräsentation seiner Firma Spitzberg Partners LLC, so tauchen allerdings Zweifel auf, wie viel reale Unternehmenstätigkeit und wie viel bloßes „window dressing“ dahinter stecken mag. Außer Guttenberg, der als “distinguished statesman” am Think Tank CSIS und gleichzeitig als „Senior Advisor to the European Commission“ wirkt,  gibt es nur einen weiteren Partner: Dr. Ulf Gatzke, der bis 2013 als Leiter des Washingtoner Büros der  Hanns-Seidel-Stiftung tätig war.

Ausweislich der Webseite bestehen Partnerschaften mit vier Einrichtungen mit ähnlich diffusem Angebotsspektrum. Eine, Atlantic Advisory Partners (AAP), ist Spitzberg Partners dadurch verbunden, dass sie den erwähnten Dr. Ulf Gatzke als geschäftsführenden Direktor ausweist. Eine andere, Ming Labs, ein Münchener Büro für Web Design, gibt wiederum Spitzberg Partners als seine New Yorker Dependance an. Des Weiteren sei man mit Global Delaware, einer Unternehmens- und Investmentberatung verpartnert, welche auswärtige Investoren bei der Nutzung des extrem vorteilhaften Unternehmens- und Steuerrechts von Delaware betreut. Schließlich wird noch die Wall Street Blockchain Alliance (WSBA) genannt, die sich der Propagierung und Förderung von Blockchain-Währungen (wie Bitcoin) verschrieben hat.

Die einzigen Tätigkeitsbelege, die sich auf der Spitzberg Webseite finden lassen, sind Videos von Guttenberg-Auftritten (z.B. bei FoxBusiness) und verlinkte Webseiten anderer Internet-Anbieter. Keinerlei Referenzen, keine Mitarbeiter, keine Projekte, nur eine pauschale Selbstanpreisung als international aktiv, innovationsorientiert und über Regierungskontakte verfügend. Übrigens, die selbe Büro-Adresse in Manhattan (270 Lafayette Street, Suite 1005, NY 10012) geben auch zwei weitere Firmen als ihren Standort an. Alles in allem sieht das schwerlich nach einer wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmensgründung aus, sondern eher nach einer um Reputationsaufbau bemühten Selbstinszenierung, die dem „distinguished statesman“ Guttenberg zu Investitionsgelegenheiten und hochkarätigen Einladungen verhelfen soll.

Ein gefährlicher Blender

Welche neuen Kompetenzen er sich während seines Exils in USA angeeignet haben dürfte, verraten Interviews auf Web-Portalen und eine SPIEGEL-Reportage sowie die Selbstdarstellung auf der Webseite. Da ist zuvörderst seine starke Faszination von IT-basierten Start-ups und den fragwürdigen Chancen der Finanzwirtschaft im Falle einer Verbreitung von Blockchain-Währungen. An zweiter Stelle die Kenntnis mancher webgestützten Innovationen und die Fähigkeit zum forcierten Gebrauch des IT Slangs. Seine Reden zu außenpolitischen Themen, vorzugsweise die EU und die Trump-Administration betreffend, offenbaren zwar die Lektüre der amerikanischen Qualitätsmedien, aber keine besondere Analysekompetenz oder  nennenswertes Insiderwissen.

Immerhin scheint Guttenberg hinreichend qualifiziert, um als TV-Talker zu brillieren. Ob das seiner starken Ichzentriertheit, der ausgeprägten Beifallssucht und dem immerwährenden Hang zur Selbstinszenierung genügt, bleibt abzuwarten. Den Verdacht, bei allen seinen Handlungen der Selbstdarstellung und persönlichen Publicity Priorität zu geben, konnte zu Guttenberg nicht entkräften. Die Glaubwürdigkeitslücke in seiner Biographie besteht fort.

Wer immer in Deutschland der Meinung ist, dass ausschließlich integre, verantwortungs­bewusste und ernsthaft an gesellschaftlich relevanten Themen interessierte Personen ein öffentliches Amt bekleiden sollten, wird Guttenberg besser von seiner Longlist streichen. Der selbst noch sechs Jahre nach seinem bislang größten Desaster unveränderte Habitus ungebremster Selbstüberschätzung garantiert, dass man auf weitere Fehlleistungen gefasst sein müsste, würde er in die bundespolitische Arena zurück kehren.

In der FAZ wurde Guttenberg 2011 als trickreicher Gaukler tituliert, der es nicht nur versteht, sein Publikum mit charmanten Posen einzulullen, sondern auch schamlos genug ist, die Thematisierung seiner Verfehlungen mit Drohungen zu kontern. Die damalige Diagnose gilt weiterhin: „Er ist ein wahrhaft gefährlicher Mann“. Böse Zungen behaupten sogar, „KT“ hätte womöglich das Zeug, sich zu einer deutschen Miniversion von Donald Trump zu entwickeln.

 

Werbung

Über hwiesenthal

Soziologe und Politikwissenschaftler, seit 2003 im Ruhestand, wohnt in Berlin.
Dieser Beitrag wurde unter CDU/CSU, Dissertation, Guttenberg, Plagiat, Politik, Promotion, Standesbewusstsein, Wissenschaft abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Warum Guttenberg kein Vertrauen verdient

  1. hwiesenthal schreibt:

    Angesichts der Möglichkeit einer Rückkehr Guttenbergs in die deutsche Politik empfiehlt sich die Lektüre dieses Taschenbuchs mit zahlreichen, durchweg aufschlussreichen Analysen: Oliver Lepsius und Reinhart Meyer-Kalkus (Hrsg.): Inszenierung als Beruf – Der Fall Guttenberg. Berlin: Suhrkamp 2011.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s