Wie die Syriza-Regierung der EU eine lange Nase machen könnte

Die neue Regierung Griechenlands wird von großen Hoffnungen ihrer Wähler getragen. Vielleicht wird sie einige Abstriche an den Wahlversprechen vornehmen müssen und nicht alle Reformen rückgängig machen, die in den letzten Jahren erfolgten. Aber Ambitionen und Anspruch der Syriza-Regierung stehen außer Frage. Deshalb ist es sinnvoll, den Kern eines Antispar- und Antireformpakets zu skizzieren, an dem sich die neue Regierung messen lassen wird. EZB und EU-Partner mögen daran die Power der neuen Regierung ablesen. Und den Syriza-Sympathisanten hilft ein solches Maximalprogramm, rechtzeitig eine etwaige Rechtsabweichung der griechischen Linken zu identifizieren.

(1) Das wichtigste Vorhaben der neuen Regierung ist der angestrebte Schuldenschnitt. Für diesen zweifellos schwierigsten Punkt bieten sich aus griechischer Sicht zwei Schritte an. Um die öffentliche Meinung in der EU zu gewinnen, könnte die Regierung sehr bald einen riesigen Katalog von Sparmaßnahmen zusammenstellen (aus etwa 497 konditionalen und miteinander verwobenen Einzelmaßnahmen), den zu bewerten die Experten der EU schlicht überfordern würde. Gleichzeitig wäre die Forderung nach Schuldenerlass regelmäßig in Erinnerung zu rufen, aber ohne das mit einem Verhandlungsvorschlag zu verbinden. Das würde die EU-Partner so sehr nerven, dass sie schließlich selbst eine Konferenz zum Thema Schuldenerlass anberaumen. Weil sie dann mit einem eigenen Konzept in die Verhandlungen gehen müssten, hätte Griechenland schon halb gewonnen.

Allerdings wäre damit noch nicht geklärt, wie die vom Schuldenerlass betroffenen Gläubiger zur Vergabe neuer Darlehn motiviert werden können. Hierfür müssten u.U. sorgfältig abgezirkelte Drohungen an Brüssel und Berlin adressiert werden, die auch einen ökonomischen Selbstmord Griechenlands einschließen, ohne Zwangsmaßnahmen gegen einzelne EU-Mitglieder auszuschließen. Näheres wäre vom neuen Putin-freundlichen Verteidigungsminister Kammenos auszuarbeiten.

(2) Der öffentliche Dienst Griechenlands ist unter dem Druck der Sparauflagen der Troika um rund ein Drittel geschrumpft. Für Syriza kommt es deshalb darauf an, einerseits den ursprünglichen Personalstand von knapp einer Million wiederherzustellen und andererseits einige hunderttausend weiterer Stellen zu schaffen. So könnte man auf vielen existierenden Stellen eine zweite Person einstellen — wenn es dabei nicht ein Problem gäbe: Weil es in aller Regel nicht genügend Arbeit für zwei gibt, werden sich die beiden Kollegen ständig in den Haaren liegen, wer das bisschen Arbeit erledigen soll. Das wahrscheinlichste Ergebnis ist, dass die Arbeit liegen bleibt. Hierfür gibt es jedoch eine naheliegende und in mehrfacher Hinsicht sinnvolle Problemlösung: die Einstellung einer dritten Person. Diese würde entweder den Kollegenstreit schlichten oder der Einfachheit das Erforderliche selbst erledigen. Auf diese Weise ließe sich nicht nur die exorbitante Arbeitslosigkeit überwinden, sondern auch eine hochmotivierte und zufriedene Beamtenschaft gewinnen.

(3) Die Schaffung einer kostenlosen Gesundheitsversorgung gehört zu den wichtigsten Zielen von Alexis Tsipras. Damit könnten viele Arbeitnehmer und Rentner mit unzureichendem Einkommen eine deutliche Verbesserung ihrer Lage erfahren. Der einzige Nachteil ist, dass die Finanzierung des Gesundheitswesens noch schwieriger würde. Deshalb sollte die Regierung auf eine bekannte und erprobte Problemlösung zurückgreifen: freiwillige Direktzahlungen der Patienten an die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal. Auf diese Weise würde kein Patient höher belastet werden als er und seine Verwandten im Notfall tatsächlich aufzubringen vermögen. Dank dieser zweiten Quelle wären auch die Einkommen der Beschäftigten gesichert. Und in formaler Hinsicht mit Blick auf den Staatshaushalt bliebe die Gesundheitsversorgung vollständig kostenlos.

(4) Die versprochene Rückkehr zu den guten Verhältnissen vor der Troika-Intervention erfordert auch die Wiederherstellung einer besonderen Sozialleistung: die Weiterzahlung von Renten an die Familien verstorbener Rentner. Diese im EU-Rahmen etwas ungewöhnliche Praxis hat in Griechenland ebenso sehr zur Beliebtheit des Sozialstaats beigetragen wie die Schwarzarbeit und die allgemein tolerierte Umgehung von Steuerpflichten.

Wie schon bei der Anhebung der übrigen von Kürzung betroffenen Sozialleistungen sind ernsthafte Finanzierungsprobleme nicht zu erwarten. Immerhin genießt die neue Regierung die bedingungslose Unterstützung der Linksparteien in EU-Staaten wie Deutschland, Spanien und Frankreich. Diese werden sich mit Entschiedenheit für Solidarzahlungen ihrer Länder an Griechenland einsetzen und notfalls selbst in die Bresche springen, um die Syriza-Regierung aus ihren Mitgliederbeiträgen zu unterstützen.

Alles in allem bestehen also gute Chancen, dass die neue griechische Regierung ihre Wahlversprechen einlösen wird und das Land seinen alten Wohlstand für eine begrenzte Zeit zurückgewinnt. Mit den unvermeidlichen Folgeproblemen müsste sich dann die nächste Regierung befassen.

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Über hwiesenthal

Soziologe und Politikwissenschaftler, seit 2003 im Ruhestand, wohnt in Berlin.
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