Milliardäre sind zum Gütezeichen dynamischer Gesellschaften geworden. Lange Zeit hielt man sie für ein zufälliges Nebenprodukt der wirtschaftlichen Entwicklung. Das ist heute anders. Mit dem enormen Wachstum der Milliardärsschicht in Russland stiegen auch die Einkommen der russischen Normalbürger und Politiker. Noch stärker korrelieren die Zahl der Milliardäre und das Durchschnittseinkommen in China. Das macht natürlich auch Probleme. So kommt die Produktion von Luxusautos kaum noch hinter der explodierenden Nachfrage her. Entspannter ist die Lage nur in den USA. Dort gilt noch die alte Nullsummenbeziehung: mehr Miliardäre = weniger Masseneinkommen. Doch Deutschland beweist: Es gibt mehr Milliardäre und gleichzeitig brummt die Wirtschaft mit der höchsten Wachstumsrate in der EU. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Wir brauchen noch mehr Milliardäre, hier und jetzt.
Mit mehr Millionären ist die Sache nicht getan. Millionäre gibt es wie Sand am Meer, aber sie taugen nicht viel. Das mag an ihrer Bildung, an eigentümlichen Moraldefiziten oder sonstwas liegen. Meistens haben sie einen Nebenberuf und kümmern sich mehr um Fußball, Film und Fernsehen, die Post oder den Feminismus als um das Einsammeln von Milliarden. Das Millionärsdasein ist allein als Durchgangsstadium tolerabel, ansonsten ohne gesellschaftlichen Wert. Milliardäre dagegen machen nicht nur keine Probleme, sondern sorgen für Wachstum und bringen Glanz und Bedeutung ins öffentliche Leben, selbst noch im Fall von Vermögensverlust, wie die Beispiele Flick, Schaeffler, Schickendanz, Chodorkowski und Timoschenko zeigen.
Wie kommt es, dass Milliardäre so segensreich sind? Früher nahm man an, es läge an ihrer geringen Anzahl. Die hatte es Politikern ermöglicht, schon aus wenigen Gesprächen sehr viel zu lernen. Doch das hat sich geändert, seit man beim Spaziergang durch Palo Alto oder Guangzhou haufenweise Milliardären begegnet. Das ist heute so schlimm, dass der Facebook-Mogul Zuckerberg nun persönlich den Präsidenten anrufen muss, wenn er etwas von der Regierung will.
Die Milliardäre von heute sind entweder durch Kreativität oder Erbschaft zu dem geworden, was sie sind. Kreativität zahlte sich aus beim Basteln, Organisieren, Schummeln, Erfinden, Tricksen oder Pokern. Ihre gesellschaftliche Wirkung ist eine enorme, was unter anderem die Erfindung der „sozialen“ Netzwerke und die in der letzten Finanzkrise verschwundenen Billionen belegen. Milliardäre sind die aufregendste Spezies im Menschenzoo der modernen Gesellschaft. Anders als Millionäre wissen sie oft nicht, wohin mit dem vielen Geld. Dann bleibt ihnen nichts anderes übrig als mildtätige Gaben zu verteilen, wissenschaftliche Forschung zu finanzieren oder auf Steuerbetrug zu verzichten.
Solche Positivwirkungen des Milliardärsdaseins fallen nur schwach aus, wenn der Erbschaftsanteil den Kreativitätsanteil in der Milliardärspopulation übersteigt. Das ist eindeutig in Deutschland der Fall. Deshalb empfiehlt das „Center for the Promotion of Billionaires (ProBio)“ konsequenterweise das folgende Handlungsprogramm.
Wenn in früheren Zeiten nach einem Rezept gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit gefragt wurde, hieß eine vielfach geglaubte Antwort „Kommunismus“. Doch das beruhte auf einem Irrtum. Die besten der potentiell sozialerträglichen Lösungen trugen maximal bis zu den temporären Siegen der Sozialdemokratie. Aber trotz anfänglicher Erfolgsmeldungen erwies sich auch dieser Weg als ungeeignet – jedenfalls für die Welt, wie sie halt ist. So bleibt als einzige logisch gegebene Möglichkeit die ebenso ehrliche wie gründliche Übernahme der Ideale des Kapitalismus.
Das setzt konkret voraus, dass mit der Einübung dieser Ideale bereits im Vorschulalter begonnen wird. Doch entscheidend wird sein, dass die weitere schulische und berufsbezogene Bildung direkt auf die Eroberung der höchsten im Kapitalismus erreichbaren Gesellschaftsposition, d.h. des Milliardärs, ausgerichtet ist. Wenn alle – oder zumindest sehr viele – diese maximale Gratifikation anstreben, werden sie schließlich auch viele erlangen.
Die Sozialisation zum Milliardär in spe verläuft über einige anspruchsvolle, aber realisierbare Teilziele. Ohne ihr Erreichen gibt es kein Fortkommen. Zum Beispiel muss jedes Kind, um eingeschult zu werden, einhundert Euro selbst erarbeitetes Vermögen nachweisen können. Der Realschulabschluss setzt den Nachweis von selbst erarbeiteten 100.000 Euro voraus. Das Abitur ist mit einem unschwer erzielbaren Vermögen von 250.000 Euro geschafft, während ein erfolgreicher Hochschulabschluss erst nach der ersten Million gefeiert werden kann. Diese Teilziele sind enorm bedeutsam, denn aus ihnen ergeben sich alle curricularen Details. Man lernt, was zum Geldmachen notwendig ist. Aller übriger Lehrstoff ist als entbehrlich zu betrachten und bleibt den selbstgewählten Versagern reserviert.
Mit der allmählichen Entstehung einer breiten, hochvermögenden Gesellschaftsschicht werden praktisch alle heute bekannten Probleme verschwinden: Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Sozialtransfers, Ausländerintegration, Infrastrukturmängel, unzureichende Theatersubventionen usw. Die wenigen verbleibenden Dienstleistungsarbeiter/innen werden sich vor attraktiven Arbeitsplatzangeboten nicht retten können. Und bescheidene Steuersätze von drei bis fünf Prozent werden genügen, um dem Staat ein bequemes Finanzpolster für kostenlose Gesundheitsversorgung, hohe Altersrenten und alles Sonstige zu verschaffen. Die umfassende Dubaiisierung der Gesellschaft wird funktionieren, weil das Verhältnis von Armen und Reichen nicht als Nullsummenbeziehung zu verstehen ist. Restlos alle können gewinnen, wenn sie es wirklich wollen.
Dieses Programm entspricht dem Stand des in allen fortgeschrittenen Staaten maßgebenden Orientierungswissens. Nichts spricht gegen seine Realisierung – außer Kleinmut, Konkurrenzneid und dumpfem Traditionalismus. Diese Hindernisse sollten sich in künftigen Wahlkämpfen überwinden lassen. Denn wenn es erst einmal viel mehr Milliardäre als heute gibt, werden auch alle anderen gewonnen haben. Und wenn nicht, dann haben wir zumindest die Probe auf die Nullsummenthese gemacht. Im ungünstigsten Fall hätten wir eine solide empirische Grundlage gewonnen, um den Artenschutz für die Spezies der Milliardäre zu überprüfen.